(Beitrag vom 20. Juli 2022) –
Text:
Der Regierungsrat wird beauftragt, sicherzustellen, dass als zwingende Bedingung für Tempo 30 auf Kantonsstrassen im Innerortsbereich, welche als verkehrsorientierte Strassen dienen, die Voraussetzungen von Art. 108 SSV vom Kanton eingehend geprüft werden und diese konsequent sowie restriktiv erfüllt sind. Für Pilotprojekte gelten dieselben Vorgaben.
Begründung:
Die Motionärinnen bekennen sich zu den Zielsetzungen des Kantons zu einem Mobilitätsmix und anerkennen die entsprechenden Bestrebungen. Zugleich wehren sie sich gegen eine zunehmende Diskriminierung des Mobilen Individualverkehrs und ihm verwandten Verkehrsaufkommen, etwa den gewerblichen Nahverkehr oder die Feindistribution von Gütern. Kantonsstrassen dienen in einer verkehrsplanerischen Gesamtbetrachtung insbesondere dem raschen Abführen von Verkehr aus Quartieren auf die Hauptverkehrsachsen. Bei hohem Verkehrsaufkommen kann bereits jetzt auf Kantonsstrassen nicht mit 50 km/h gefahren werden. Mit der Einführung von «generell Tempo 30-Zonen» auf Kantonsstrassen wird ohne Zwang der Innerortsverkehr in besagter Gemeinde oder Stadt in integraler Weise eingeschränkt und zusätzliche Verkehrsengpässe durch Staus und Kolonnenverkehr provoziert. Durchgehende Tempo 30-Zonen auf leistungsorientierten Verkehrsstrassen machen zusätzlich den öffentlichen Busverkehr unattraktiv, da die Fahrzeiten erhöht werden. Für Rad- und Mofa-Fahrerinnen und -Fahrer ist stockender Verkehr zudem ein erhöhtes Sicherheitsrisiko und verleitet zu unüberlegten und gefährlichen Überholmanövern.
Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit in Ortschaften ist rechtlich auf 50 km/h festgelegt. Gemäss Art. 4a Abs.1 lit. a und Abs. 2 der Verkehrsregelnverordnung (VRV) vom 13. November 1962 (SR 741.11) gilt die allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h im ganzen dicht bebauten Gebiet einer Ortschaft.
Gestützt auf Art. 108 der Signalisationsverordnung (SSV) vom 5. September 1979 (SR 741.21) kann der Kanton Aargau für bestimmte Strassenstrecken Abweichungen von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten (Art. 4a VRV) anordnen bzw. bewilligen.
Die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten können gemäss Art. 108 Abs. 2 SSV herabgesetzt
werden, wenn:
- eine Gefahr nur schwer oder nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben ist;
- bestimmte Strassenbenützer eines besonders, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen;
- auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann;
- dadurch eine im Sinne der Umweltgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren.
Bei Kantonsstrassen handelt es sich in der Regel um verkehrsorientierte Strassen, die den Verkehr möglichst rasch von den Gemeinde- und Sammelstrassen übernehmen und überregional weiterleiten. Eine abweichende Höchstgeschwindigkeit, gestützt auf Art. 108 Abs. 4 SSV, stellt einen starken Eingriff dar[1].
Verkehrsbeschränkungen sind regelmässig mit komplexen Interessenabwägungen verbunden. Gemäss Bundesgericht haben die zuständigen Behörden einen erheblichen Gestaltungsspielraum[2].
Die Grundlagen seitens Bundesrecht sind sehr klar. Entsprechende Pilotprojekte für Tempo 30 auf Kantonsstrassen im Innerortsbereich sind nicht vorgesehen. Sollten Pilotprojekte ins Auge gefasst werden, haben sie dieselben Auflagen zu erfüllen. Auch hier soll der Regierungsrat entsprechend sicherstellen, dass als zwingende Bedingung für Tempo 30 auf Kantonsstrassen im Innerortsbereich, welche als verkehrsorientierte Strassen dienen, die Voraussetzungen von Art. 108 SSV vom Kanton eingehend geprüft werden.
[1] Antwort Regierungsrat zur Interpellation 21.168, Stefan Giezendanner, Zofingen.
[2] Vgl. BGE 136 II 539 E. 3.2 S. 548; Urteil 1C_121/2017 vom 18. Juli 2017 E.3.4.2.