Die «Umwelt Zeitung» erhielt eine exklusive Führung durch das betriebserfahrenste Kernkraftwerk der Welt. Sichtbar werden die enormen Sicherheitsvorkehrungen. Das zeigt sich insbesondere im Notstandsgebäude, zu dem Gäste sonst keinen Zutritt haben.
Die Einfahrt auf das Areal des Kernkraftwerks Beznau in der Aargauer Gemeinde Döttingen fühlt sich fast ein bisschen an wie in einem James-Bond-Film. Barriere, Wächterhäuschen, ein kritischer Blick des Sicherheitsmannes – und dahinter eine eigene kleine Welt, ein Kosmos der Spitzentechnologie. Dann hören die Parallelen aber auf. Hier sitzen keine Bösewichte, die den Weltuntergang planen, sondern die seriösesten und diszipliniertesten Menschen, die man sich denken kann.
Ich werde von Kernkraftwerksleiter Roland Schmidiger und dem Leiter Werkschutz, Rolf Jäggi, persönlich empfangen. Sie nehmen sich Zeit für die Erklärung der komplexen Technologie und für eine ausgedehnte Führung – wobei wir die Leser der «Umwelt Zeitung» auch in Bereiche mitnehmen dürfen, die der höchsten Sicherheitsstufe unterliegen und normalerweise für Besucher nicht zugänglich sind.
Sicherheit über alles
Sicherheit, das steht hier über allem. «Es ist unser Kernauftrag, die Gesundheit der Mitarbeitenden zu schützen und die Anlagen sicher zu betreiben», sagt Roland Schmidiger – und dies unabhängig davon, ob die Politik gerade für oder gegen die Kernenergie eingestellt ist. Das KKW Beznau wurde 1969/71 in Betrieb genommen und gehört damit zu den dienstältesten der Welt. Die aktuell geplante Betriebsdauer beträgt 60 Jahre – das Ende ist also absehbar. Das Werk verfügt über eine unbefristete Betriebsbewilligung – es wird solange betrieben, wie es sicher und wirtschaftlich ist.
Kommt deshalb Melancholie auf? «Nein, das können wir uns gar nicht leisten», sagt Schmidiger. Aber natürlich ist es eine spezielle Aufgabe, nach so vielen Jahren den Rückbau zu planen. Der Grund dafür ist kein politischer, sondern ein «rein regulatorischer». Technisch wäre es zwar möglich, einen der zwei Reaktoren noch 20 Jahre länger zu betreiben. Die Russen haben ein Verfahren entwickelt, dass die auftretende und limitierende Versprödung des Reaktordruckbehälters rückgängig machen kann. Neben den regulatorischen Grenzen gibt es aber auch räumliche: Die Aare-Insel, auf der das KKW Beznau steht, ist schlicht zu klein, um einen weiteren Ausbau zu ermöglichen.
Alle Lämpchen leuchten grün
Der Rückbau wird also wohl in rund 10 Jahren beginnen – aber bis dahin und darüber hinaus arbeiten die 450 Mitarbeiter mit vollster Konzentration. Die grösste einzelne Abteilung ist der Betrieb, mit rund 180 Personen. Eine der vielen besonderen Rollen nimmt der Sicherheitscontroller ein: Er macht nichts anderes, als die Sicherheit und das Verhalten der Mitarbeitenden ständig zu überwachen und zu hinterfragen. Auf die Frage, wovor er als Kraftwerksleiter den grössten Respekt habe, antwortet Schmidiger denn auch: «Dass wir immer genug aufmerksam und bereit sind – gerade, weil es bisher immer gut gegangen ist.» Man müsse «demütig» bleiben, im ständigen Modus der Wachsamkeit und der Selbstkritik.
Wir beginnen die eigentliche Führung in einem Bereich, der für Besucher sonst nicht zugänglich ist: Im sogenannten Notstandsgebäude, das jeder der beiden Reaktorblöcke hat. Hier gilt die höchste Sicherheitsstufe. Wer hinein will, muss sich in einem mehrstufigen Verfahren immer wieder ausweisen, samt Augenerkennung mit Iris-Scan. Das gilt auch für Kraftwerksleiter Schmidiger.
Das Notstandsgebäude ist speziell für Krisensituationen ausgerüstet. Zuerst betreten wir den Kommandoraum des Blocks 1, in dem drei Personen arbeiten. Weitere Mitarbeitende der Schicht sind auf der Anlage unterwegs. Die Operateure im Kommandoraum sind umgeben von einer Apparatur mit zahlreichen Lämpchen. Sie leuchten alle grün – also alles in Ordnung. Im Falle einer Störung kommt eine Vielzahl von Alarmen zum Tragen. «Das System hilft, möglichst schnell die Ursache zu erkennen», erklärt Roland Schmidiger. Dann gibt es noch einen zweiten Kommandoraum – jenen des Blocks 2. Auch hier sind die Spezialisten konzentriert an der Arbeit. Es sind besondere Orte: Hier sind seit mehr als 50 Jahren nachweislich permanent Menschen anwesend – wie wohl in keinem anderen Raum der Schweiz.
Was der Schiffsdiesel im KKW zu suchen hat
Die nächsten Sicherheitsschranken führen uns in eine noch geheimnisvollere Umgebung, in den sogenannten Notstand-Leitstand. Er dient als Back-up für Krisensituationen wie Terroranschläge, Flugzeugabstürze oder Erdbeben. Der Raum ist radiologisch geschützt, mit massiven Strukturen versehen und – wie alles hier – erdbebensicher. Schliesslich folgt der Notfall-Raum, der Platz für zehn bis zwölf Leute bietet, die bei einem Störfall unabhängig vom üblichen Schichtbetrieb das Geschehen verfolgen und den Notfallstab beraten. Für die Kommunikation mit der Aussenwelt gibt es zusätzlich einen weiteren, kleineren Raum für sechs bis sieben Personen.
Schliesslich gehen wir durch verschiedene Sicherheitsschranken ein paar Stockwerke tiefer. Dort steht, neben all den Hightech-Anlagen vielleicht überraschend, ein imposanter Schiffdieselmotor, der im Notfall Strom für die Anlagen produziert. Es ist einer von insgesamt 6 Dieseln, welche das Kernkraftwerk Beznau an unterschiedlichen Orten bereithält. «Die Schiffsdiesel sind sehr betriebsbewährt, sie müssen jederzeit anspringen können», sagt Roland Schmidiger. Eine zuverlässigere Maschine gibt es nicht.
Güterabwägung beim Kühlwasser
Die weiteren Etappen unserer Besichtigung führen durch das imposante Maschinenhaus mit den mächtigen und lauten Turbinen und vorbei am sogenannten Full Scope Simulator, wo die Schichtgruppen periodisch am Üben sind und auch für ihre Arbeit zertifiziert werden. Wie bei einem Flugsimulator trainieren die Mitarbeiter hier die Abläufe und das Verhalten bei Störfällen.
Vom Aussenbereich der KKW-Anlage sieht man die Aare vorbeifliessen – auch sie spielt im Kosmos «Beznau» eine besondere Rolle. Es gibt hier nämlich nicht, wie bei den meisten anderen Kernkraftwerken, einen hochaufragenden Kühlturm – für die Kühlung sorgt das Flusswasser. Als weitere Besonderheit wird im KKB auf einen – wenn auch kleinen – Teil der Stromproduktion verzichtet und Prozesswärme zu günstigen Tarifen in das Fernwärmenetz der Refuna (Regionale Fernwärme Unteres Aaretal) und damit zu Haushalten und Industrie eingespeist.
Das Thema «Kühlwasser» ist aber auch ein Politikum. Das Bundesamt für Umwelt verschärfte die Vorschriften mit Blick auf die erwärmten Gewässer und mögliche Folgen für Lebewesen wie die Fische. Die Aare darf nach Durchmischung nur noch 25 Grad Celsius warm sein. Bis vor kurzem galt lediglich eine maximale Einleittemperatur von 32 Grad. Das führte dazu, dass Beznau im vergangenen Sommer die Leistung drosseln musste – mit Kostenfolgen und Produktionsausfällen von Dutzenden Millionen Franken.
Es handelt sich bei dieser Frage um eine klassische Güterabwägung, bei der es auch um die Sicherheit der Energieversorgung geht. Interessantes Detail am Rande: Man sieht jetzt in der kalten Jahreszeit, dass dort, wo das Kühlwasser in die Aare zurückfliesst, sich Fische und Wasservögel besonders gerne tummeln. Auch sie sind Teil des Kosmos «Beznau», den uns Roland Schmidiger und Rolf Jäggi auf unserer Führung so anschaulich wie kompetent nähergebracht haben.
Dr. Philipp Gut
Zahlen und Fakten zum KKW Beznau
- Inbetriebnahme 1969/71
- Gehört zu den dienstältesten KKWs der Welt
- Leistung 6000 Gigawattstunden/Jahr. Dies entspricht etwa dem doppelten Stromverbrauch der Stadt Zürich. Allein Beznau 1 erzeugt im Jahr soviel Strom, wie der Öffentliche Verkehr in der Schweiz benötigt.
- Sicherheitsnachrüstungen im Umfang von 2,5 Mia. Fr.
- 450 Mitarbeiter plus bis zu 1000 Fremdmitarbeiter während Abstellungen
- Betriebsende und anschliessender Rückbau in der ersten Hälfte der 2030er Jahre